Category Archives: VO Einführung in die Technikphilosophie

Führen viele verschiedene Perspektiven zur Wirklichkeit?

Netzwerke sind ein sehr breit anwendbares, abstraktes Modell um Akteure jeglicher Art und deren Relationen zueinander zu erklären, zu betrachten und zu analysieren. Die Struktur an sich hebt schon die klassiche Asymmetrie zwischen Objekvitität und Subjektivität auf. Oder genauer betrachtet: Es wird die kognitive Betrachtung von einer Vogelperspektive in die Mitten-Drin Perspektive abgeändert. So sind die Verhältnisse untereinander nicht auf Hierarchische beschränkt sondern durch Zentralitäten erklärt und können um einiges komplexer abgebildet werden. Eine Annäherung an die Wirklichkeit wird hier erreicht, indem man sich immer wieder die Akteure und deren Verknüpfungen genauer ansieht, um dann aus möglichst vielen Informationen den besten Schluss zu ziehen. Die Stärke der Actor-Network-Theory (ANT) liegt dabei in der wechselseitigen Betrachtung der Zuschreibungen der Akteure, hier Aktanten genannt. Ein Aktant definiert sich nicht nur aus sich selbst heraus, und auch nicht nur von einem anderen Aktanten, sondern von sich selbst und von allen anderen. In wechselnder Betrachtung wird versucht Selbst- und Fremddefinition gleichzeitig zu verstehen. Ist der Wechsel der Betrachtung somit die bestmögliche Annäherung an die Wirklichkeit? Auf jeden Fall sind absolute Aussagen dadurch schwer, ins besondere wenn sich das Netzwerk zeitlich verändert.

Und Netzwerke verändern sich stetig. Was man gerade noch begriffen hat, kann schnell schon falsch sein. Das Aufrechterhalten der Beziehungen benötigt Bemühungen, genauer gesagt ein gewisses Maß an Konvergenz und Irreversibilität. Konvergenz ist positiv nach Innen gerichtet und ermöglicht Vertrauen. Irreversibilität sichert die Struktur gegen destabilisierende Einflüsse von Außen, ist also negativ geartet. Beides existiert nie in vollkommener Ausprägung. Weiche und flexible Sichten sind notwendig.

Auf Anhieb stellen sich zu ANT ein paar Fragen auf: Manche aus Missverständnissen heraus, manche aus der Komplexität der Materie an sich. ANT scheint eher eine Methode oder Perspektive, vielleicht auch mehr eine Haltung, zu sein, als eine komplette Theorie. Vielleicht steht der Netzwerkbegriff auch erst am Anfang und braucht noch weitere Erforschung. Ich denke hier an Kombinationsmöglichkeiten mit oder Verwendung einzelner Elemente in anderen Methoden. Beides ermöglicht einem aus den bestehenden Paradigmen und Erklärungsmodellen auszubrechen und neue Wege einzuschlagen. Ob das immer klug ist sei dahingestellt, aber es ist immerhin möglich sich darüber Gedanken zu machen und zu einem gut begründeten Schluss zu kommen.

Try to look at the whole interconnected world, rethink and overcome the social artifacts and be aware of your human preconditions as far as you can.

Literaturverzeichnis

Schulz-Schaeffer, Ingo: Akteur-Netzwerk-Theorie – Zur Koevolution von Gesellschaft, Natur und Technik, 2000. München, Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH.

Links

Presentation Actor Network Theory

Wissensausgleich

Hintergrund für das Patentrecht waren zwei Interessen: 1) Das Investieren in Forschung für Unternehmen rentabel machen und 2) einen Anreiz zu geben, dass Erfindungen möglichst bald der Gesamtgesellschaft zugänglich gemacht werden. Darauf aufbauend möchte ich den Begriff des Intellektuellen Eigentums und den Einfluss des Patentrechtes auf die Wissenschaft etwas genauer unter die Lupe nehmen.

Als Einstieg zwei Fragen: Wie kann Wissen eindeutig einer Person zugeschrieben werden und ist es sinnvoll eine Idee zur Ware zu machen? Die Zuweisung einer Erfindung an eine Person, was ja die Logik des Intellektuellen Eigentums ist, war nicht der Beweggrund um das Patentrecht einzuführen, sondern ist Mittel zum Zweck. Dies wird jedoch immer wieder als Argument dafür genannt. Es gäbe auch noch andere Wege als Wissen zur subjektbezogenen Ware zu machen um Investitionen zu sichern oder geistige Arbeit zu entlohnen, doch die meisten scheinen der westlichen, kapitalistischen Verwertungslogik sehr fern, oder zumindest denen die bis jetzt davon profitieren. Nebenbei angemerkt: Auch offene Lizenzen agieren innerhalb dieser Logik, differenzieren aber darin und bieten mehr Möglichkeiten der Nutzung.

Als zweiter Punkt, der Einfluss von Patenten auf die Wissenschaft. Laut einer Studie ist die „Anzahl an Zitationen nach Patentanmeldungen um ungefähr 10 bis 20 Prozent gefallen“ (vgl. Murray u. Stern 2007, S. 648). Dies zeigt, dass Patente das verwenden von Wissen verlangsamen und erschweren, wenn auch nicht massiv. Ein Spezialfall ist, wenn sehr viele patentrechliche Klärungen notwendig sind. Dadurch lohnt sich der Aufwand der Klärung nicht mehr, wofür der Begriff der Anti-Allmende verwendet wird. Ein Fall, der in der modernen Forschung, die sehr schnelle Entwicklungszyklen hat und immer mehr auf Technologie basiert, gar nicht so selten ist. Paradoxerweise spielen Patente aber auch immer mehr innerhalb der Universitäten eine große Rolle. Diese sind im Zuge der fortschreitenden Ökonomisierung dazu angehalten, selber Patente anzumelden um Drittmittel via Lizenzgebühren zu aquirieren.

Dies alles soll nicht ablenken davon, dass sich der Rahmen geändert hat. Die technischen Möglichkeiten haben sich so rasend schnell weiter entwickelt, wie es zur Gründung des Patentrechtes unvorhersehbar war. Wissen kopieren kostet kaum noch etwas und das Verbreiten via Internet geht in Echtzeit. Die Chancen dadurch sind enorm. Ein Blick zurück welchen Zweck das Patentrecht, wie auch das Urheberrecht, erfüllen sollen muss gewagt werden – um danach mit den gegenwärtigen Möglichkeiten auf breiterer Basis nach Lösungen zu suchen. Ob die Eigentumslogik für ein Wissen passend ist, welches sich ohne erheblichen Aufwand vermehren lässt und nur mit wohlwollenden Gedanken eindeutig einer Person zuzuweisen ist? Ich weiß es nicht. Doch, ein ausgewogener, sachlicher Diskurs über die Rolle von Wissen im 21. Jahrhundert wäre wichtig um einen Interessensausgleich für alle zu ermöglichen.

Literaturverzeichnis

Murray, Fiona; Stern, Scott: Do formal intellectual property rights hinder the free flow of scientific knowledge? An empirical test of the anti-commons hypothesis, 2007. Journal of Economic Behavior & Organization, Vol. 63, Elsevier.

Risiko / Rhetorik / Rationalität

“The available evidence tends to show that many large, sophisticated technological systems are in fact highly compatible with centralized, hierarchical managerial control.” (Winner 1986, S. 9 ). Zu Beginn soll gezeigt werden, warum dies nicht den Kern der Frage ob Technologie inherent politisch ist trifft, um weiter zu versuchen dies etwas genauer auf zu greifen.

Das Problem liegt in der Betrachtung: Es geht nicht um Technologie, sondern um Entscheidungen und Verwaltung von Wissen, also um soziale und politische Prozesse und deren Strukturen. Komplexe Organisationsformen lassen sich ab einer gewissen Größe nicht mehr gut hierarchisch abwickeln, hier sind Kleingruppen mit vernetzten, fraktalen Strukturen oft besser und effizienter.

Der erste Punkt, der die Ursache für zentralistisch verwaltete Organisationen beschreiben soll, ist das Risiko. Wenn eine Technologie, eine Gruppierung oder sonst eine Struktur durch spontan auftretende Ereignisse in Gefahr gebracht werden kann, sind oft zentralistische und hierarchische Strukturen die Antwort. Bei einem Krieg, einem Nuklearunfall oder einer Wirtschaftskrise sind demokratische oder konsensuale, also sehr komplexe und langwierige Entscheidungsprozesse, zumeist nicht sinnvoll und können zu einer erheblichen Verschlechterung der Situation führen. Nichts desto trotz, sollten demokratische Strukturen und Prozesse dahinter stehen, aber in diesem Fall nicht direkt der Prozess selber sein.

Der zweite Punkt ist das Vorschieben eines Argumentes, um die Machtstrukturen dahinter zu verbergen. “Attempts to justify strong authority on the basis of supposedly necessary conditions of technical practice have an ancient history” (Winner 1986, S. 6). Ablenken des Diskurses und Verschleiern der Ursächlichkeiten sind ein nicht selten zu beobachtender Wesenszug von Politik und der Kunst der Rhetorik, die Dekonstruktion davon dementgegen natürlich auch.

Als dritten Punkt führt Winner die Rationalisierung und Entmoralisierung des Diskurses an. “It is characteristic of societies based on large, complex technological systems, however, that moral reasons other than those of practical neccessity appear increasingly obsolete, ‘idealistic,’ and irrelevant” (Winner 1986, S. 9). Auf die Probleme mit dem Rationalitäts-Diskurses wurde bereits in dem Text zu Die Befriedung der Ambivalenz zu “Technik und Wissenschaft als Ideologie” von Jürgen Habermas etwas eingangen. Leider scheinen oftmals Argumente ausserhalb einer Effizienz- und Rationlitätslogik nicht mehr gültig zu sein, das Wesen menschlichen Handelns beschränkt auf die eindimensionale Ebene des Zwecks und dem Erreichen dessen.

Literaturverzeichnis

Winner, Langdon: Do artifacts have politics?, 1986. Chicago, University of Chicago Press.

Recht auf Remix

Leonhard Dobusch, Autor des Textes “Wesen und Wirken der Wissensallmende”, den wir aktuell behandeln, war ebenfalls beim Chaos Communication Congress in Hamburg und hat dort über das Urheberrecht und dem Recht auf Remix gesprochen.

Remix is not a bug, it’s a feature.

–Leonhard Dobusch

Referenzen

Dobusch, Leonhard: Wesen und Wirken der Wissensallmende, 2012. juridikum – Zeitschrift für Kritik, Recht Gesellschaft, Verlag Österreich.
pre-print

Die Befriedung der Ambivalenz

Der Text behandelt die politische Dimension des Begriffes der Rationalität. Unter Rationalität versteht sich dabei, „wenn die Wünsche und die Überzeugungen mit dem Handeln (z. B. Entscheidungen) übereinstimmen“ (vgl. Ryan Murphy, Min. 3).

Die Frage nach der Herrschaft durch Rationalität hat mehrere Perspektiven, angesprochen werden soll folgend jene des Diskurses und des Missbrauches. Die zentralen Fragen dabei scheinen: Wer bestimmt den Diskurs und wo findet er statt. Was ist rational? Wer kann an der Begriffsbestimmung teilnehmen? Und nicht zuletzt: Wer setzt den Zweck fest, in dem der Begriff der Rationalität wirkt, der ja nicht zuletzt nur das mit Sprache ausdrückbare, das Bewusste sein kann? Somit stellt bereits der Beginn eines Diskurses unter dem Begriff der Rationalität ein Machtgefüge her, da es ein Hineindrücken des Denkens in dessen Begriffraum und Zwängen ist. Das Gestalten wird vom Verwalten abgelöst.

Rationalität hat eine begrenzte Gültigkeit. Nicht alle Bereiche des Lebens können oder sollten dadurch organisiert werden. Vielmehr ist die Spannung zwischen dem was man machen will und dem was man nach rationalen Maßstäben machen sollte oft eine Kraft aus der Neues entsteht. Ich bin der festen Überzeugung, es ist eine Koexistenz von Rationalität und Irrationalität möglich, ja sogar wünschenswert und wahrscheinlich sowieso unausweichlich. Die beiden Pole wiedersprechen sich nicht, vielmehr bedingen sie einander und bei näherer Betrachtung ist die Zuordnung an sich schwer. Was heute noch Schabernack ist, wird morgen vielleicht schon wissenschaftlich gesichertes Wissen. Genauso kann eine Änderung der Perspektive rationales Handeln schnell unpassend, ja sogar dumm wirken lassen, wie die Kunst oder die Liebe uns immer wieder zeigt.

Somit ist vielleicht die gegenüberstellende und dadurch trennende Frage ob rational oder irrational für sich alleine der falsche Weg. Vielleicht sollte mehr über konkrete Fälle und deren Auswirkungen gesprochen werden und basierend auf sozialer Interaktion deren Verträglichkeit für andere. Das Polarisieren der beiden Begriffe ist zu wenig und endet oftmals zu früh in Bildern von Gut und Böse, ein Problem das dialektischen Gedanken immer wieder zum Verhängnis wird. Das zentrale Problem scheint doch die Unsichtbarkeit, die Ungleichverteilung und die Institutionalisierung der Herrschaftsverhältnisse – und der Verwendung des Begriffes der Rationalität um dies unverändert zu lassen. Eine Kombination von Rationalität und sozialer Interaktion könnte hier einen guten Lösungsansatz bieten – auch im Diskurs über die Rationalität.

Literaturverzeichnis

Habermas, Jürgen: Technik und Wissenschaft als Ideologie, 1969. Suhrkamp Verlag.
Murphy, Ryan: Omega Tau Podcast: Game Theory, 2012. http://omegataupodcast.net/2012/10/106-game-theory/ (Zugriff 12/2013)